einige persönliche notizen (2003/2009)

"every turn of the road brought me new thoughts
and every sunrise gave me fresh emotions."
basho *

gedachtes, gelesenes, reflektiertes verbinden sich mit gesehenem, erfahrenem. in meiner erinnerung macht sich das wiederholt bemerkbar. so ist mein buch chance fields [2. de vries, herman: chance-fields = chance-felder, edition e, dinkelscherben, 1973] stark verbunden mit einem kleinen wiesental in unseren wäldern, und zwar mit ganz bestimmten stellen, nämlich dort, wo ich das konzept dazu bei einem spaziergang entwickelte.

dasselbe gilt für pratyagatmananda saraswatis vedanta philosophy. [3. saraswati, swami pratyagalmananda: the fundamentals of vedanta philosophy, ganesh & co, madras 1961. dieses buch war ein geschenk von meine freund steve rosenstein, damals bass-gitarrist der rockgruppe sweet smoke] denke ich daran, dann kommt mir eine ganz bestimmte wegstrecke im wald automatisch ins innere bild. dort muss sich im gehen der begriff 'continuum point' auf der hirnrinde festgesetzt haben. der weg selbst - damals noch ohne schotter - bestimmte bäume, ausblicke, ein kletternder efeu, die aussicht nach unten zum bachlauf. dort auch an einer anderen stelle eine andere verbindung aus seiner vedanta philosophy, das wort 'patent wonder', das, was ist.

meine formulierung "to be all ways to be" [4. de vries, herman: to be all ways to be. the eschenau summer press & temporary travelling press publications, 2, kathmandu 1974] verbindet mich mit bestimmten plätzen in kathmandu und mit dem ausblick dort zum innenhof vom hotelfenster aus.

mein buch argumentstellen konnte ich mit einer fotoserie aus demselben innenhof verdeutlichen: aus der mitte der vier sich gegenüberliegenden seiten des hofes fotografiert, zeigt sich derselbe raum auf ganz unterschiedliche weise. es ging dabei auch darum, wie die konditionen, die diese leere zum 'raum' bestimmen, von den verschiedenen standpunkten aus diesen 'raum' unterschiedlich formulieren. [5. de vries, herman: twee projekten, in: museumjournaal nr. 1, 20. jahrgang, amsterdam februar 1975, s. 15-17]

tonaufnahmen eines baches [6. herman de vries. water - the music of sound 1. einführung: urs und rös graf. artists press, bern 1977 (l p)] befassen sich mit dem thema 'different & identic': sechs kleine wasserfällchen haben variable, aber doch typisch eigene geräusche, und doch sind sie teil desselben stromes - vom wasser, das sich immer bewegt, hindurch strömt, beteiligt und wieder weitergeht. ist es die individualität des wasserfalls - oder ist es ein aspekt der identität des wassers? dieselbe frage kam dann auch noch dem feuer. ist ein feuerchen ein individuelles oder eine nur bei chance auftretende realisierung des feuers überhaupt?

themen, die ich in der diamant sutra wiederfand, ein zentraler text des mahayana buddhismus: "[...] personal existence, personal existence, as no-existence has that been taught by the tathagata; for not, [...] is that existence or non-existence. therefore it is called 'personal existence'". [7. the diamond sutro, the heart sutra. in: buddhist wisdom books. translated and explained by edward conze. allen & unwin ltd., london 1970, s. 48-49] hier bemerkt man auch, wie die sprache nur noch schwer die sache im griff hat. dies liegt an der natur der sprache. sie ist ein analytisches gerät. sie zerteilt die welt in dies und das. hier und dort. ja und nein. wir geben namen und trennen damit das eine vom ganzen. das gibt uns eine große soziale kraft, weil wir unsere erfahrungen kommunizieren können - zugleich aber bezahlen wir dafÜr mit dem verlust der einheit 'unity'. und so betrügt die sprache uns - und trotzdem verwende ich sie jetzt. und der autor der diamant sutra hat es auch nicht lassen können sprache zu verwenden. sie ist ein vehikel - man muss aber abspringen können.

in den sechziger jahren gab eine freundin [8. anastasia bitzos] in bern mir den tipp, wittgensteins tractatus [9. wittgenstein, ludwig: tractatus logico-philosophicus. logisch-philosophischer abhandlung. edition suhrkamp, frankfurt a.m. 1968] zu lesen. es kostete damals einige mühe, mich in wittgensteins texten zurechtzufinden. ich nahm das kleine buch mit in die abgeschiedenheit des biesbosch. die übersetzung von diesem toponym lautet 'binsenwald'. es war ein großes flussdeltagebiet mit weiden-woldern, riesigen schilffeldern und einem wechsel von ebbe und flut von etwa 3 m. ich lebte dort in einer kleinen hütte am rand von einem überschwemmten polder. eines nachts wachte ich auf von einem fremden lärm. es waren tausende von wildgansen, die sich da niederließen. ich lebte dort ein paar perioden von einigen wochen bis anderthalb monaten. übertags war ich oft im ruderboot unterwegs, abends fing ich an, über den tractatus zu reflektieren. bald wurde mein umgang damit auch spielerisch: "die welt ist alles, was der fall ist" [10. tractatus 1.1] verteilte ich buchstabe für buchstabe mittels eines zufallsprogramms in einem semiotischen feld - eine konsequenz dieses textes: auch dies war der fall. dasselbe ließ sich nach seiner inhaltlichen konsequenz auch machen mit "die welt zerfällt in tatsachen." [11. tractatus 1.2] ich musste aber doch darüber die notiz machen "und sie zerfällt nicht!"

es war wittgensteins analytisches verhältnis, welches er zwischen sprache und wirklichkeit herstellte, das mich faszinierte. auch die öffnungen, die er in seinem system ließ, waren mir bedeutend: "es gibt allerdings unaussprechliches, dies zeigt sich, es ist das mystische." [12. tractatus 6.522]
wir können das wort 'mystische[s]' auch ersetzen durch wirklichkeit. sie zeigt sich und ist nicht erfassbar und diese wirklichkeit ist die offenbarung, die einzige, die uns primär und letztlich zur verfügung steht. wunderbar war auch wittgensteins beziehung zur nützlichkeit des philosophierens: er muss sozusagen die leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist. er muss diese sätze überwinden, dann sieht er die welt richtig!

"wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." [13. tractatus 6.53 und 7] hier entstäht eine öffnung, eine lücke, eine freiheit, wo die kunst, das bild seinen sinn und seine funktion hat. und auch da hat der tractatus etwas zu sagen: "das bild stellt dar, was es darstellt [...]." [14. tractatus 2.22] und "was das bild darstellt, ist sein sinn." [15. tractatus 2.221]

das wörterpaar 'chance & change' (keine chance ohne change!), womit ich schon so lange arbeite, ist für mich verbunden mit einer schmalen straße und einer kleinen dachterrasse vom hotel arya in teheran, wo ich mich ein paar tage aufhielt auf dem landweg nach bombay und den seychellen und wo ich dieses wörterpaar das erste mal in meinem notizbuch formulierte (1970).

lange reisen sind mir wichtig gewesen. sie brachten die erfahrung von änderung, change.

stationen auf reisen, besonders die reise nach bombay und den seychellen, brachten eine direkte erfahrung von 'argumentstellen'. in istanbul, jozgat, erzerum, tabris, teheran, meshed, herat, kabul, amritsar etc. war meine erinnerung an vergangenes neu, anders zu fühlen, anders zu bewerten - und die zukunft öffnete sich, machte mich neugierig. auf dieser reise machte ich aus jedem hotelfenster, wo ich mich aufhielt, ein foto, um meine änderungserfahrung zu dokumentieren. daraus entstand 1973 look out of any window [16. de vries, herman: look out of any window. iac edition, friedrichsfehn 1973. fotoreproduktionen mit aussichten aus jedem fenster, mit einem text der grateful dead] im haus, wo ich jetzt wieder wohne, in eschenau. wo ich auch hinschaute, es war da, es war und ist immer da, vor meinen augen, und auch das zwitschern der vielen spatzen, die in den mauerritzen von diesem haus lebten und leben, war essentieller teil von diesem es, das wunder, woran ich beteiligt bin, part (teil) von bin, partizipiere. die arbeit ging immer um dies; 'this', die offenbarung, rundum und darin, nicht immer verstanden oder intellektuell erfasst, aber immer da. es gibt nichts anderes. warum dann über 'gott' reden? glaube, aberglaube brauchen wir nicht, sie sind ein umweg. wir erschaffen dies immer neu und wenn wir es nicht mehr erschaffen, sterben wir. das erfahrene ist wichtiger als das gedachte. poesie ist eine erfahrung der welt, die poesie lebt.

die arbeit eines künstlers ist nicht nur darstellen, sie ist auch entdecken. die eigene arbeit als lernprozess, woran andere teilhaben können.

sehr viel hilfe haben mir in früheren jahren meine l.s.d- und mescalin-erfahrungen gegeben. losgelöst von allen konditionierungen war ich frei (0, zero [17. "zero ist kein ausgangspunkt, sondern ein existenzniveau." in revue nul=O nr.l, arnhem november 1961, s. lO und in: herman de vries - to be - texte - textarbeiten - textbilder. auswahl von schriften und bildern 1954-1995 hrsg von andreas meier. cantz verlag, stuttgart, l995 (ausst.-kat.: centre pasquart, biehl/ch; städtische galerie am fischmarkt, erfurt 1995, s. 26)] und freiheit steht immer am anfang von einsicht. es entstanden viele visuelle untersuchungen, erst als schematische modelle (1970-75) mit hilfe von zufallsprogrammen, anschließend mit der wirklichkeit, in fotoserien und dann in 'wirklichkeit als dokument von sich selbst'. dazu kam ich in gesprächen mit meiner frau susanne, weil letztlich die wirklichkeit das vollständigste 'modell' ist und ich dadurch die anderen modelle, schemata, hinter mir lassen konnte. teile, 'parts' der wirklichkeit vertreten das ganze.

auch meine 'konkrete poesie' wurde jetzt im wahren sinn konkret. eine der damaligen fotoserien war a random sample of the seeings of my beings (1972-75). hier formulierte und untersuchte ich, dass nicht nur das, was man denkt und macht, zum konzept (es mangelt mir an einem besseren wort) gehört, sondern auch das, was man sieht, wahrnimmt. die serien bestanden aus fotopaaren: erst machte susanne ein foto von mir zu einem zufällig festgelegten zeitpunkt, den ich nicht kannte, und sie sagte dann: "stop!", damit ich das im blick behielt, wonach ich geschaut hatte. sie überreichte mir dann die kamera und ich fotografierte das gesehene. so entstand eine kleine darstellung von meiner welt, der welt, die zu meiner existenz gehörte. eine welt, die immer anders ist und die mich auch immer anders sein lässt. als individuum bin ich ein teil, 'part' der welt, worin ich mich befinde, die ich bin. wo ich mich befinde, ist meine 'argumentstelle'. ich tausche mich aus mit meiner welt, irgendwo, wo ich bin, was ich bin.

was ich bin, ist auch beschrieben in meinem buch ich bin was ich bin - flora incorporata, [18. de vries, herman: ich bin was ich bin - flora incorporata. ottenhausen verlag, piesport/mosel l988] eine liste von allen pflanzenarten (484 arten), die ich mich erinnerte, zu mir, in mich genommen zu haben: als nahrung, als droge, als medizin, als gewürz. diese bauten mich aus zu dem, was ich jetzt bin, sie haben sich transformiert, sie sind zusammengekommen in diesem, 'meinem' körper. der lebende organismus als transformations-unit. natural-relations. [19. herman de vries: natural relations. eine skizze. katalog der sammlungen mit anmerkungen von herman de vries. hrsg. vom karl ernst osthaus museum hagen. verlag für moderne kunst, nürnberg, 1989. anfangszitat von alan watts in: does it matter? essays on man's relation to materiality. new york l968, s. 115: "obviously, all art is in transition, as is life itself. but the ear cleanlng and eye washing that is in preparation for a return to inseparability of art and everyday life. the pointings are vanishing into the walls: but they will be marvellous walls. in turn, the walls will vanish into the landscape: but the view will be ecstatic. and after that the viewer will vanish into the view"]

von benjamin lee whorf [20. lee whorf, benjamin: sprache denken wirklichkeit - beiträge zur metalinguistik und sprachphilosophie. rowohlt, reinbek bei hamburg 1964] lernte ich, dass verschiedene weltbilder verschiedene sprachformen verursachen - und damit auch, dass diese verschiedenen sprachformen rahmenbedingungen ergeben für verschiedene weltbilder.

sprache täuscht, sie ist ein 'prachtnetz', [21. brahmajala sutra, die lehrrede das prachtnetz. in: buddha. die lehre des erhabenen. aus dem palikanon ausgewählt und übertragen von paul dahlke. wilhelm goldmann verlag, münchen l966, s. l48-173] man ist darin gefangen.
einmal machte ich ein experiment. ich sprach 4 wochen lang kein wort. anschließend hatte ich längere zeit nicht viel zu sagen, hatte ich nur wenige worte nötig. diese zeit ist mir in der erinnerung verbunden mit dem garten, worin ich damals lebte. die rosetten von plantago media, die slch in der zeit vor meinen füßen aus dem boden entwickelten, gehören dazu.

ein junges rotschwänzchen, das aus einem hohlen zaunpfahl herauskam und einen moment still sitzenblieb und zum ersten mal die welt betrachtete und dann hineinflog. van gogh sagte in einem brief: "es sind die kleinen kapitäne, die das leben beherrschen" (er sprach über zikaden in der provence). wenn wir wittgensteins leiter [22. tractatus 6.54] wegwerfen, dann kÖnnen wir nur noch schweigen. "die welt zerfällt in tatsachen", [23. tractatus 1.13] aber sie zerfällt nichtt es ist nur die sprache, die sie teilt.

die blumensutra erzählt, dass buddha, um eine predigt gebeten, nur eine blume zeigte. [24. ch'an and zen teaching. ed. translated and explained by lu k'uan yü (charles luk). rider & company, london l926, first series s. 49 und third series 134]

die upanischaden lernte ich schon früh kennen, es war l953 als ein student der forstwirtschaft, [25. hans heyboer] der mein nachbar war, mir ein kleines buch mit fragmenten davon in niederländischer übersetzung auslieh. jetzt befindet sich in meiner bibliothek eine reihe von übersetzungen vieler upanischaden. ich studierte sie ausführlich, aber nicht systematisch. ich war eher ein 'random reader'. ich las irgendwo einen textabschnitt und ließ seinen inhalt auf mich wirken, er ließ mich über konsequenzen nachdenken und ich versuchte, ihn in ein Verhältnis zu meinen übrigen gedanken zu bringen. oder ich vergaß ihn wieder, weil er nicht anwendbar oder fÜr mich nicht verständlich war.

ich war überhaupt ein 'random reader'. und etwas anders kann man auch kaum sein: zwischen der unendlichen vielfalt von aufgeschriebenen und gedruckten gedanken und untersuchungen ist unsere orientierung in der welt sowieso zufällig. [26. de vries, herman: fragmentarische argumenten. felison-kahier. nr 10. ijmuiden l968, s. 2-6]

übrigens, zufall ist nach meinen beobachtungen keine gesetzmäßigkeit, sondern nur ein hilfswort. es deutet situationen an, bei denen wir nicht mehr imstande sind, den komplex von kausalitäten zu erkennen, der zu diesen situationen geführt hat.

das wort 'zufall' stammt aus der mittelhochdeutschen mystik: 'zuoval', das, was unerklärbar einem zu fällt.

meine beziehung zum buddhismus, zen-buddhismus, war früh, erstmals ca. 1957. bei suzuki [27. suzuki, daisetz teitaro. zen und die kultur japanas. rowohlt, reinbek bei hamburg 1958, s. 48] war ich u.a. beeindruckt von seiner ausführlichen zusammenfassung von takuans abhandlung über das schwertfechten, die nachdruck legte auf 'unbewegtes begreifen'. ich verband das mit dem begriff 'gewahrsein' und der damit zusammengehenden gedankenfreiheit, woraus sich alles entwickeln kann. alan watts' buch [28. watts, alan w.: zen-boeddhisme. w. de haan en van loghum slaterus n.v., zeist und arnhem 1963, s. 4] lehrte mich u.a. die welt 'yathabhutam' zu sehen, d.h. 'so, wie sie ist': direkte erfahrung, unmittelbares, sinnliches wahrnehmen, keine einschränkung durch namen, wörter, labels. das überwinden der grenze zwischen 'ich' und dem erfahrenen. Etwas, das ich auch schon bei meister eckhart entdeckte in seiner predigt warum man sich sogar gottes ledig machen soll. [29. meister eckhart: predigten und schriften. ausgewählt und eingeleitet von friedrich heer. fischer bücher, frankfurt a.m. 1956, s. 155]

man entdeckt immer wieder neues. in letzter zeit waren es ludwig tieck, aus der deutschen romantik, und giordano bruno. es ist immer wieder eine freudige erfahrung, auf verwandte gedanken zu stoßen. ich bemerke dann auch, dass vieles schon früher und oft auch immer wieder neu gedacht und formuliert wurde. bei tieck war es ein gedicht - ... alles, alles ist verbunden -, das mein interesse an der deutschen romantik weckte. [30. muthmann, friedrich: mutter und quelle. philipp von zabern, mainz 1975, s. 3] bei bruno las ich: "da seht ihr also, wie alle dinge im universum sind und wie das universum in allen dingen ist, wir in ihm und es in uns, und so alles in eine vollkommene einheit mündet. jetzt werde ich mehr von bruno lesen - aber vielleicht war dieser eine satz genug. [3l. eusterschulte, anne: 'natura est deus in rebus' - die 'lebendige kunst' der natur bei giordano bruno'. in: hans-werner ingensiep und richard hoppe-soiler (hg.): naturstücke - zur kulturgeschichte der natur. edition tertium, ostfildern 1996, s. 69]

so schrieb ich in den l97Oer jahren:
"every
thing
is
all
ways
significant
for
all"
was auch wieder in verbindung steht zu meinem in kathmandu geschriebenen und publizierien mantra:
to be allways to be
(ein text, dessen wörter untereinander austauschbar sind). [32. de vries 1974 (wie anm. 4)]

bei leonordo da vinci fand ich ähnliches: "so wie ein stein, den man ins wasser wirft, zum mittelpunkt und zur ursache vieler kreise wird, so verbreitet sich der ton, der sich in der luft bildet, kreisformig. so verbreitet sich jeder Körper, der sich in der hellen luft befindet, kreisförmig und erfüllt die umliegenden teile der luft mit unendlichen bildern seiner selbst, und so erscheint alles im allen und alles im jedem teil." - eine feststellung, zu stande gekommen durch genaue wahrnehmung. [33. leicester codex (codex A), 1492, fol. 9 verso. hrsg vom instituto lombardo di scienze e lettere (premio tomasino) di gerolamo calvi. milano, l909. zit. noch: leonordo da vinci - das wasserbuch - schriften und zeichnungen. ausgewählt und übersetzt von marianne schneider. schirmer/mosel, münchen, paris, london 1996, s. 40. vgl. auch de vries, herman: tutto. the eschenau summer press & temporary travelling press publications, 44, eschenau 1999. (mit dank an dr. cees de boer der für mich das originalzitat und die deutsche übersetzung recherchierte)]

ich habe bei philosophen nie ein system oder eine lehre gesucht, nur eindrücke, wesentliche bemerkungen. natürlich suche ich auch immer wieder nach zusammenhängen, jedoch ist ein zusammenhang noch lange kein system. ich werde mich hüten, selber ein system zu entwickeln, es wäre das aufbauen von einem gefängnis!

2OO1 publizierte ich meine philosophischen bemerkungen. [34. de vries, herman: philosophische bemerkungen. the eschenau summer press & temporary travelling press publications, 47, eschenau 2OO1] erst kamen die fragestellungen:
was wieso von wo wohin
dann kamen die wörter, die ich als 'kernwörter' oder als 'koordinationspunkte' bezeichnen könnte:
this all to be ways here
wo eventuell noch 'field' und 'stream' hinzugefügt werden könnten und danach folgten einige wortpaare, die ohne einander keinen sinn ergeben:
one & many you & me chance & change
different & identic yes & no
und danach - warum es mir bei all diesem geht:
this & no thing

am 3. märz 1957, in den anfangsjahren meiner künstlerischen arbeit, schrieb ich in mein notizbuch: "kunst ist philosophische betrachtung in bildender form. d.h. sie ist auch begierde-nach-weisheit (das ist nicht gleich weisheit)." [35. vries 1961 (wie anm. 17), s. 20]

man hat mich damals wegen dieses standpunktes belächelt.
wenn man mich jetzt darnach fragt, was kunst sei, sage ich, dass sie ein beitrag ist zum bewusstsein oder zu bewusstwerdungsprozessen.. es gibt aber auch viele andere definitionen. [36. mattes, rudolf (hg.): bitte beantworten sie diese frage: "was ist kunst?" institut für kunst-definition, bern 1984] das ist gut so: die kunst ist ein freies gebiet. ohne freiheit ist eine entwicklung nicht möglich. am 19. september 1957 schrieb ich: "kunst ist in ihrer besten form ein ausdruck des lebens in einheit mit dem ganzen. in diesem stadium muss leben dann auch kunst sein" [37. de vries 1961 (wie ann. 17) s. 22]

anhang

true philosophy is immediate actual.
so any communication of it can go from and to the actuality of it,
which is not symbols.
so, liberated of thinking with symbols,
philosophy is life and actuality.

true art is immediate actual. so, any communication of it can go
from and to the actuality of it, which is no symbols, so, liberated
of thinking with symbols, art is life and actuality.

true life is immediate actual. so any communication of it can go
from and to the actuality of it, which is not symbols. so, liberated
of thinking with symbols, life is life and actuality.

true actuality is immediate actual. so, any communication of it can
go from and to the actuality of it, which is not symbols. so, liberated
of thinking with symbols, actuality is life and actuality.

true communication is immediate actual. so, any communication of it
can go from and to the actuality of it, which is not symbols. so, libe-
rated of thinking with symbols, communication is life and actuality.

(experience is experience)
('experience' is a symbol, so has nothing to do with true
philosophy, -art, -life, -actuality -communication. so are 'philosophy',
'art', 'life', 'actuality', 'communication', and 'true' as well as the whole
of this text.)

frankfurt 5.12.1976, bombay 13.12 1976

source: herman de vries, 'einige persönliche notizen über kunst & philosophie', in exhibition catalogue herman de vries. all this here / [Redaktion Barbara Strieder] (Stiftung Museum Schloss Moyland : Bedburg Hau 2009) 58-64; translated in French and edited by Anne Moeglin-Delcrois in 'quelques notes personelles sur l'art et la philiosophie', in Revue d'Esthétique n° 44 'Les artistes contemporains et la philosophie' (2003) 144-151 (ill.).