die eiche. wir werden dich niemals vergessen, wynfrith! (1995)

den beginn menschlicher kultur, das, was sich von reiner natur unterscheidet, erkennen wir an den hilfsmitteln, den ersten gerätschaften des menschen: der sichel, mit der man erntet, schneidet, nimmt; der schnur zum bündeln, sammeln, aufbewahren, mitnehmen; dem korb, dem beil.

die geschichte der menschlichen kultur wird begleitet von eingriffen in lebensräume, zunehmend mehr, als es uns ökologisch zukommt.

im mittelalter, während der entwicklung der städte, war deren existenz abhängig vom wald: zum hausbau, für große kultische gebäude, kirchen und kathedralen, für feuerholz zum kochen und heizen, für das handwerk und für die anfänge der industrie, aber auch zum masten der schweine (eicheln), für honig, den einzigen süßstoff, für die jagd, insbesondere auf kleinvogel und zum krautersammeln.

die kirchen beanspruchten einen großen anteil: allein für den dachstuhl der st. peterskirche in hamburg wurden 400 alte eichen verbraucht. beim bau der frauenkirche in münchen verarbeitete man ungefähr 20000 bäume, und woher kamen die millionen bäume, auf denen amsterdam gebaut ist?

die lüneburger heide entstand, als zum salzsieden in einer kurzsichtigen politik im spätmittelalter die wälder rund um lüneburg verbraucht wurden, bis kein wald mehr da war und das holz mit mühsamer flößerei von mecklenburg herangeschafft werden mußte.

in schottland wurden nach der eroberung durch die engländer die wälder rücksichtslos kahlgeschlagen. am anfang als bauholz für den schiffsbau, dann als holzkohle, um eisenerz zu schmelzen. an der nordwestseite von loch maree errichtete man eine reihe von schmelzofen. solange sie in betrieb waren, wurden zur holzkohleherstellung für diese öfen täglich 6 hektar wald, jahrhundertealte kiefern und eichen, gefällt. die vielgerühmte schottische landschaft ist in wirklichkeit eine verödete wüstenei, eine durch menschliche habsucht, dummheit und kurzsichtigkeit entstandene ödnis, wo nur noch schäfe grasen, in der einst bis auf 700 meter höhe große wälder standen.

auf einer topographischen karte von schottland fand ich die namen von ungefähr 170 wäldern - die es nicht mehr gibt, baumlose leere.

die rhön war mit herrlichen alten wäldern bedeckt, bis 1720 der fürstbischof von würzburg, unter dessen herrschaft das gebiet stand, die neue residenz bauen ließ. das geld dazu kam aus den wäldern der rhön, die innerhalb dreier jahre zur gänze abgeholzt wurden. die stämme wurden mit flöszlig;en nach holland exportiert ... zum bau einer kriegsflotte gegen england. das holländische geld dafür kam aus der ausbeutung seiner kolonien, besonders aus dem gewürzhandel.

als der südenglische prediger wynfrith ('glück und frieden'), bekannt als der heilige bonifatius, am beginn des achten jahrhunderts nach friesland und deutschland kam, um die macht seiner kirche zu verbreiten, erließ er regelungen mit dem ziel, die heidnischen gebräuche systematisch auszurotten. für diesen zweck wurden die heiligen eichen, kultische orte einer bevölkerung mit noch starker bindung an und ehrerbietung vor den kräften der natur, gefällt, um ihnen die ohnmacht ihrer götter beweisen zu können. bekannt ist der anschlag des heiligen bonifacius auf die sächsische eiche von geismar (in der nähe von kassel).

diese störungen in der geistigen einstellung zur natur, zu wald und quellen wurden durch diese missionsarbeit bleibend eingeprägt. die nachwirkungen reichen vielfältig bis in unsere gegenwart hinein.

- die eiche - ist gefällt - wir werden dich niemals vergessen, wynfrith!

source: herman de vries, 'die eiche. wir werden dich niemals vergessen, wynfrith!', in herman de vries. to be : texte - textarbeiten - textbilder (Stuttgart 1995) 150-153. Reprinted in "Künstler" Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst. herman de vries volume 40, cahier 31 (WB Verlag : München 1997) 14. Translated in French as 'le chêne. nous ne t'oublierons jamais, wynfrith!', in herman de vries (Anthèse : Arcueil 2000) 16.